Am vorletzten Freitag, den 05. Februar, versammelten sich in Stralsund nach eigener Zählung zwischen 130 und 230 Anhänger der Initiative „Vereint für Stralsund“, die offensichtlich Enrico Naumanns Truppe „MV.Patrioten“ (ehem. MVGIDA) abgelöst hat. Während am Anfang 233 Teilnehmer vor Ort waren, minimierte sich der Anteil in der Ossenreyerstraße auf 130 Personen. Die Polizei meldete 230 Teilnehmer. Dennoch träumte die Initiative auf ihrer Facebookseite von 300 Demonstranten. An den verschiedenen Standorten des Gegenprotestes trafen sich insgesamt 120 Menschen. Laut Polizei waren es nur 80. Die Polizei war laut eigenem Bericht mit 200 Einsatzkräften vor Ort.
Die Stralsunder Initiative, die sich als Vorpommern-Rügen-weites Bündnis ausgibt und bis nach Rostock reichen möchte, hat gezeigt, welches Klientel sie auf die Straße bringen möchten und können.
Stadtbekannte Rechtsradikale und Anhänger des ortsansässigen NPD-Kreisverbandes liefen an der Spitze mit ehemaligen Mitgliedern der „hatecrew“, während hinter ihnen ein Haufen Party-„Volk“ und passiv auftretende selbsternannte „besorgte Bürger“ liefen. Wie zu jeder Demo lassen sich die Redebeiträge der offensichtlich rechtsradikalen Bewegung zusammen fassen: „unwelcome“ – „Grenzen Dicht – Asylwahn stoppen“.
Das Aufeinandertreffen von Rechtsradikalen und Gegendemonstranten sollte durch Hamburger Gitter und die Polizei verhindert werden. Die Stimmung der teils vermummten Neonazis war spürbar aggressiv. Es kam zu Festnahmen, u.a. wegen des Verbots von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Verstößen gegen das Versammlungsgesetz. Nicht zuletzt kam es während der Kundgebung auf dem Alten Markt wiederholt zu Beleidigungen und Bedrohungen. Auch ein „Hitlergruß“ wurde lt. Ostsee-Zeitung durch die Polizei geahndet.
Schon im Vorfeld war klar, dass die Polizei einem Aufeinandertreffen beider Lager entgegenwirken wollte. So wurde die angemeldete Kundgebung auf Höhe der „Deutschen Bank“ 3-fach abgeschirmt, daher kam man nur mit Aufwand zu der eine Stunde später startenden Mahnwache auf dem Alten Markt. Während es bei der ersten Kundgebung zu einem reinen Protest in Hörweite kam, hat die Mahnwache am Alten Markt für einen Protest in Hör- und Sichtweite gesorgt. Auf dem Weg von der Kundgebung zur Mahnwache wurde klar, dass das Polizeikonzept wie bei einer der letzten Demonstrationen aufgehen sollte. So teilte man die Altstadt in 2 Hälften. Bei dem Versuch der Errichtung einer Sitzblockade auf dem Alten Markt und auf dem Weg dorthin kam es mehrfach zu aggressiven Handlungen der Polizei. Einem Gegendemonstranten wurde eine Knochenverletzung beigebracht, er musste vor Ort und anschließend ambulant versorgt werden. Weiterhin kam es zu mehreren Schürfwunden.
Gerade auf dem Alten Markt hatte die Initiative „Vereint für Stralsund“ aufgrund des hohen Lärmpegels kein leichtes Spiel, ihre Reden rüberzubringen. Auch der blaue Ford – Transporter eines NPD- Fraktionsmitarbeiters (Marko Müller), welcher schon an vergangenen Demonstrationen als Lauti-Wagen genutzt wurde, konnte dabei keinen Erfolg erzielen. Gefahren wurde dieser durch das Team von Norman Runge (NPD Stadtvertreter und Kreistagsmitglied in der Mecklenburgischen Seenplatte). Diesmal bedankte man sich auf der Facebookseite der Initiative bei ihm mit den Worten „Danke an Norman und sein Team“.
Derweil bestätigte sich durch ein Video (16:55 / Link: https://www.youtube.com/watch?v=F-y6-qUCmVY, dass Norman Runge (NPD) als Redner auf der Kundgebung der „MV.Patrioten“ am 06. November 2015 auf dem Alten Markt teilnahm. Gleich zu Beginn der Veranstaltung, für die der NPD Kreisverband Nordvorpommern erstmals mit eigenem Logo geworben hatte, fiel besonders ein Satz auf: „Wir von der NPD setzen sich für unseres deutsches Volk ein.“ So berichteten es Anwesende. Derweil bedankte sich Runge bei den Demoteilnehmern vom 5. Februar auf seinem Facebookprofil.
Die Redner der „Stralsunder Initiative“ waren unbekannter denn je. Eines fiel trotzdem auf: Der NPD- Kreisvorsitzende und Bürgerschaftsmitglied Dirk Arendt hielt durchgehend Kontakt mit Rednern und Ordnern, wodurch eine organisatorische Verquickung mit der NPD auch hier offensichtlich wird. Nicht zuletzt wird klar, dass die NPD inhaltlich den Ton mit angibt. Die Verbindungen zur NPD konnten bei MVGIDA längst belegt werden. Auffällig waren bei dieser Veranstaltung die roten Armbinden der Ordner. Die Teilnehmer der Demonstration liefen mit weitem Abstand zueinander. Dadurch wurde der Eindruck erweckt, die kleine Guppe sei größer.
Aufgefallen sind auch die Spendensammler der „Stralsunder Initiative“. So liefen „Deutsche Schönheiten“ hinter männlichem „Volk“, welches die Spenden kassierte. Wie die Spenden genutzt werden, ist fraglich. Enrico Naumann, der nach dem Brandanschlag auf die Autos der Demonstrationsteilnehmer der „MV.Patrioten“ im Oktober 2015 mit Hilfe von Melanie Bublat (Inhaberin des Spendenkontos und „FFDG“ – „Frieden, Freiheit, Demokratie, Gerechtigkeit“ – Mit-Organisatorin) einen Spendenaufruf gestartet hatte, tritt nun nicht mehr in Erscheinung.
Wurde diese Seite noch für kreative Spendenunterstützung, wie z.B. über den Youtube Kanal „Lichtschalter“(Link: https://www.youtube.com/watch?v=EOpkP0Bool4&feature=youtu.be) bereichert, wirkt sie jetzt schon seit Längerem ungenutzt. Naumanns Facebook-Profil lässt erkennen, dass er derzeit mit privaten Angelegenheiten beschäftigt ist. Es gibt weiterhin Streit zwischen Melanie Bublat (Facebook: Melanie Bu) und Naumann. So scheint es.
„FFDG“ ist eine Abspaltung, die sich nach dem ersten Erscheinen der „MV.Patrioten“ in Greifswald ergeben hat, aber auch in Wolgast aktiv ist. Währenddessen gab es Konflikte zwischen Naumann und der „FFDG“, welche zu einer weiteren Spaltung führte (Bericht: http://blog.17vier.de/2016/01/13/knatsch-im-fuehrerbunker-ffdg-spaltet-sich/). Nun kann man sich fragen, wann dieser Typ wieder auftaucht. Wir werden es sehen.
Zum Abschluss der Kundgebung am 05. Februar wurde die deutsche Nationalhymne auf dem Alten Markt gesungen. Hier hatte man dazu aufgerufen, Mützen ab und Hände aus den Taschen zu nehmen. Nur wenige Teilnehmer, gerade die selbsternannten „besorgten Bürger“ unter der rechtsradikalen Menge, haben das nicht getan.
Rügen lässt grüßen
Auch auf Rügen ist eine Flaute schon zur letzten Demonstration von „Stark für Rügen“ wahrzunehmen (Unser Bericht: http://rockgegenrechts.square7.ch/?p=3432). So möge man sich fragen: Wo sind die hin? Hier wird offenbar, dass es sich bei den Organisatoren nur um einschlägig organisierte Rechtsradikale handeln kann. Aus dem näheren Umfeld des NPD Stammpersonals im Namen von Paul Podzadny, bildete sich in Sassnitz eine „Bürgerwehr“.
Zuvor wurde bereits in Sagard eine Bürgerwehr zusammengestellt. So spricht es sich zumindestens auf der Insel herum. Paul Podzadny scheint außerdem als Verbindungsperson nach Stralsund aufzutreten und pflegt laut interner Informationen bereits seit Längerem Kontakt zu Dirk Arendt (NPD). Beide sind zusammen in Stralsund auf der Demo aufgetreten. Sie hielten ein Frontbanner. Podzadny selbst war auch bei Demonstrationen von „Stark für Rügen“ dabei, an denen auch Dirk Arendt teilnahm.
Auf Rügen bewegt sich momentan noch viel mehr. So kam es auch in anderen Orten zu Übergriffen auf Gemeinschaftsunterkünften wie bspw. in Sellin. Auch in Bergen wird mobil gemacht. Nicht nur einschlägig bekannte Rechtsradikale hetzen gegen die Unterbringung von Asylsuchenden im Rathauskeller der Stadt. FDP und CDU – Fraktionen reihen sich dort ein und lehnen die Unterbringung an diesem Ort ab, wobei die „Motel Plus GmbH“ – der Inhaber des ehemaligen Etablissements – den Raum zur Verfügung stellen möchte. FDP und CDU – Fraktionen in Bergen haben dem Landkreis einen anderen Vorschlag zur Unterbringung vorgelegt. So möchte man Container in Neklade einrichten. Weiterhin gibt es die Idee Turnhallen für eine vorrübergehende Unterbringung einzurichten. Der Landkreis hat mittlerweile mitgeteilt, dass sie das Angebot der „Motel Plus GmbH“ prüfen und eventuell in Anspruch nehmen wollen. Das Angebot der Bergener Kommunalpolitiker ist nicht attraktiv. Die Bergener Wohnungsbaugesellschaft mbH“ (BeWo) möchte lt. Ostsee-Zeitung aus verschiedenen Gründen nur noch Asylsuchende mit einem Status unterbringen. Ein wirtschaftsorientiertes Bündnis schließt sich, den bisher nicht erfolgreichen Protesten der CDU und FDP –Fraktionen an. Bevor der Landkreis mitteilte, wie er vorgehen möchte, fand am 09. Februar eine Bürgerversammlung zum Thema Unterbringung von Asylsuchenden statt. Auch ortsansässige Rechte beobachteten die Veranstaltung, schrieben mit und filmten.
So informieren sie über die Seite „Patrioten Rügen /Rostock/Stralsund“ darüber, dass in Neklade Container errichtet werden sollen, um Wohnraum für Asylsuchende zu schaffen. Vor Ort sind schon einige Wohnungen durch Asylsuchende bewohnt. Sie gaben sich vor Ort als freundlich und bürgernah aus, stellten jedoch keine themenbezogenen Fragen. Diese wurden lediglich vom lokalen Flüchtlingshilfenetzwerk eingebracht.
Der aktuelle Wohnraumengpass rührt auch daher, dass die Jugendherberge in Prora und Sellin nur übergangsweise über die Wintermonate genutzt werden kann und die derzeitigen Bewohner bis Ende Februar umgesiedelt werden müssen. Es fehlt an Wohnraum für schon auf Rügen lebende Geflüchtete und für Neuzuweisungen. Auch in Lobbe auf Rügen gab es die Idee, Asylbewerber in einem geschlossenen Hotel unterzubringen, welches seit einem Jahr keinen Pächter mehr hat. Auch hier formierten sich Proteste dagegen. Die Betreiberin eines Hotels in Lobbe (L. Osthoff) lehnte die Errichtung einer Gemeinschaftsunterkunft öffentlich über ihr Facebookprofil ab. Sinngemäß schrieb sie, dass man dann nicht mehr an den Strand gehen könne. Dieser Post wurde mittlerweile wieder gelöscht. Vielleicht hat sie ihre Meinung auch geändert. Allerdings hat das Geschäft „Fish&Fun Angelzubehör“ aus dem gleichen Ort eine große Menge Pfefferspray angefordert um Anwohnern Sicherheit zu verkaufen. L. Osthoff sicherte sich gleich 2 Dosen im Voraus.
Derzeit wohnen in Prora (zentral), Sellin (zentral), Altenkirchen, Samtens, Garz, Bergen, Neklade, Sassnitz (3 zentrale Gemeinschaftsunterkünfte), Sargard, Dranske und Putbus Asylsuchende. Auf Rügen hat sich eine aktive Unterstützerstruktur etabliert, die sich auch dem Kampf gegen Rechts annimmt.
Was die früheren Entwicklungen auf Rügen angeht können wir einen interessanten Bericht empfehlen: http://www.hagalil.com/2015/08/ruegen/
Wie ist die Situation in und um Stralsund?
In Sundhagen, wo eine Gemeinschaftsunterkunft für Asylsuchende entstehen sollte, bildete sich umgehend Gegenprotest im Namen des NPD-Kreistagmitglieds Andreas Teller. Teller machte mobil, aber vor Ort fand sich auch eine Unterstützergruppe. Das Projekt wurde letztlich aus anderen Gründen wieder zu den Akten gelegt.
In Stralsund gibt es ein großes Netzwerk, welches sich für Geflüchtete einsetzt, aber auch große Ablehnung. Nicht jede Ablehnung wird, wie bei Rechtsradikalen und aktionsorientierten Rassisten, offen zur Schau getragen. Aber auch in Stralsund ist eine „Bürgerwehr“ unterwegs. Der Alltagsrassismus ist in der Stadt spürbar. In Stralsund gibt es derweil 4 zentrale Unterbringungsstandorte. 2 Gemeinschaftsunterkünfte auf dem Dänholm, eine Unterbringungsmöglichkeit im Haus am Rügendamm in der Frankenvorstadt und das alte Parkhotel im Stadtteil Grünhufe werden für die Asylsuchenden genutzt. In allen Stadtteilen sind weiterhin asylsuchende Menschen dezentral untergebracht. Um perspektivisch weitere Anträge auf Asyl zu bewerkstelligen, stellt man sich darauf ein, Notunterkünfte bereitstellen zu können.
Rechte und rassistisch motivierte Übergriffe kommen wieder öfter vor. So ereignen sich regelmäßig Auseinandersetzungen im ganzen Stadtgebiet. Das Maß reicht von rassistischen Einlasskontrollen in Bars und Diskotheken über Beleidigungen bis hin zu körperlichen Übergriffen. Dies stellt sich als Problem für Asylsuchende und Menschen aus der Flüchtlingshilfe dar. Auch auf politisch Andersdenkende wird seitens Rechtsradikaler Jagd gemacht. Egal ob nach Demonstrationen oder im Alltag. Eine Arbeit für eine Willkommenskultur, zu der auch das Aktiv-sein gegen völkisch-autoritäre Einstellungen zählt, wird immer schwerer. Diese Probleme bestehen schon des Längeren und sind auch im restlichen Landkreis spürbar.
Fazit
Seit der Gründung von „MVGIDA“ vor über einem Jahr, über die Gründung der „MV.Patrioten“ bis hin zu den Aktivitäten von der „Initiative Vereint für Stralsund“ lässt sich eine Tendenz der sog. PEGIDA-Ableger, die auch oft als „Asylkritiker“ bezeichnet werden, fest machen. Erst haben vermehrt nicht-organisierte Neonazis und Bürger an der Organisation teilgenommen. Hinzu kamen die organisierten Neonazis. Jetzt scheinen es die organisierten Neonazis zu sein, die die Fäden in der Hand haben und zusätzlich die Veranstaltungen inhaltlich mit aufbereiten. Es hat sich eine Akzeptanz und Abhängigkeit von der NPD, also der Parteiebene, innerhalb der „MV.Patrioten“ entwickelt, die nun als eine Anerkennung wahrzunehmen ist und in die „Initiative Vereint für Stralsund“ mündete. Allerdings ist festzustellen, dass sie nur noch die übrig gebliebenen erreichen, die an eine rechte, „große Revolution“ glauben und damit besonders starke demokratiefeindliche Tendenzen aufzeigen. Das anfängliche Bild vom „bürgerlichen“ Protest mündet heute in ein fast ausschließlich monotones Bild der Menschenfeindlichkeit durch Neofaschisten. Ob die AfD Zielgruppen erreichen wird, die die NPD momentan nicht erreicht, wird spannend bleiben.
Auch die Politik im Bund hat zur gesellschaftlichen Stimmung beigetragen. Es ist gesellschaftstauglich geworden, rassistisch zu handeln bzw. sich rassistisch zu äußern. Rechte Parteien wie NPD und AfD bekommen eine breite Plattform um in anstehenden Wahlkämpfen wieder attraktiver zu werden. Der NSU-Skandal, das NPD-Verbotsverfahren und andere Skandale haben genug schlechte Öffentlichkeit erzeugt. Nun ist ein Bild von NPD und AfD vorhanden, mit dem sich potenzielle Wähler wieder identifizieren können. Der Nährboden für rassistisches und neofaschistisches Handeln steigt immens an.
Das immer wieder kommunizierte Konstrukt des „Linksterroristen“ ist nicht belegbar. Menschenverachtendes Handeln geht immer wieder von Personen aus, die eine neofaschistische, sozialdarwinistische oder rassistische Einstellung haben. Das allein belegen die Zahlen der „rechtsextremen“ Gewalttaten aus dem Jahr 2015 im Vergleich zu anderen. Die rechten und fremdenfeindlichen Gewalttaten sind in Mecklenburg-Vorpommern im Vergleich zum Vorjahr 2014 um mehr als das doppelte angestiegen. Zusätzlich gab es 699 Straftaten mit rechtem Hintergrund. Die Dunkelziffer und Nachmeldungen sind dabei noch nicht beachtet worden. Potenzielle Opfer rechter Straftaten haben es zunehmend schwerer. Der Anteil von Personen, die Opfer rechter und rassistischer Gewalt- sowie Straftaten werden, steigt immens. Gezielte Sachbeschädigungen müssen auch beachtet werden, wenn man einen ganzheitlichen Überblick haben möchte.